Ehrenstadtverordneter Rudolf Rhiel


Laudatio zur Verleihung der Ehrung eines „Ehrenstadtverordneten“

an Rudolf Rhiel am 18.02.2019 im Rahmen der Sitzung

der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Amöneburg

 

 

 

Lieber Rudolf, liebe Hildegard, liebe Familie Rhiel, sehr geehrte

Damen und Herren Stadtverordnete, sehr geehrte Gäste,

 

es ist mir eine besondere Ehre, dass ich heute hier vor Ihnen stehen

darf und Rudolf Rhiel für seine ca. fünfzigjährige kommunalpolitische

Arbeit stellvertretend für alle anderen kommunalpolitisch

tätigen Amtsträger und auch stellvertretend für die Amöneburger

Bürgerinnen und Bürger zu ehren.

Im Oktober 1968 begann die kommunalpolitische Karriere von

Rudolf Rhiel. Sein Vater hatte, der ebenfalls kommunalpolitisch

tätig war, hatte Rudolf infiziert. Er wollte als junger Mann für Roßdorf

politische Verantwortung übernehmen und wurde Gemeindevertreter

von Roßdorf.

Es war das Jahr, in dem der Vietnamkrieg tobte, die Studentenproteste

in Deutschland ihren Höhenpunkt erreichten und ein Anschlag

auf Rudi Dutschke verübt wurde. In dem Jahr wurden Martin-

Luther King sowie John F Kennedy ermordet. Russische

Truppen marschieren im August 1968 in die damalige Tschechoslowakei

ein und schlugen den Prager Frühling nieder. Es waren

also damals innen- und außenpolitisch unruhige Zeiten.

 

 

In Roßdorf heiratete Rudolf seine Hildegard. Das war zur damaligen

Zeit eine besondere Heirat, hatten sich die beiden doch den

Bund des Lebens versprochen, obwohl Hildegard aus Mardorf

und Rudolf aus Roßdorf kamen. Vielleicht war es die Liebe zu

seiner Frau Hildegard die ihn oft nach Mardorf führte und er in

dieser Zeit wichtige Weggefährdeten der FWG aus Mardorf kennenlernte.

Bei der ersten Kommunalwahl der Stadt Amöneburg nach der

Gebietsreform am 22.10.1972 waren 2.992 Bürgerinnen und Bürger

wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung lag bei 88,5 %. Die FWG

erzielte 26,1 %, die SPD 16,3 % und die CDU 57,6 %.

Weggefährden von Rudolf aus den Anfangsjahren waren Ewald

Mann, Manfred Stumpf und Ewald Schick aus Mardorf, Berthold

Krähling und Ewald Rausch aus Roßdorf sowie Josef Zecher und

Franz Dickhaut aus Amöneburg. Wenn ich hier jemanden aus

den Gründungsjahren der FWG nicht erwähnt habe, bitte ich um

Nachsicht. Trotz zahlreicher Gespräche mit Zeitzeugen möchte

ich dies nicht ausschließen. Selbstverständlich denke ich hier an

alle FWGLer aus den Anfangsjahren, auch wenn sie nicht namentlich

erwähnt werden.

 

 

 

Seit 1968 war Rudolf Rhiel in unterschiedlichen gemeindlichen

Gremien tätig.

 Von 1968 – 2016 wirkte er als Gemeindevertreter der ehemals

selbständigen Gemeinde Roßdorf und später der Stadt

Amöneburg. Nur während einer Wahlperiode in den 1970er

Jahren machte er eine mehrjährige Pause um genügend Zeit

für seine landwirtschaftliche Meisterausbildung zu haben, die

er dann auch erfolgreich abschloss.

 Von 2011 – 2016 leitete Rudolf Rhiel als Vorsitzender den

Haupt- und Finanzausschuss.

 Abgesehen von einer Unterbrechung von 1981 – 1985 gehörte

Rudolf seit 1972 bis zum heutigen Tag dem Roßdorfer

Ortsbeirat an.

 Von 1993 – 1997 war er Ortsvorsteher von Roßdorf

 Zehn Jahre gehörte Rudolf Rhiel von 1974 – 1985 dem

Kreistag des Landkreises Marburg – Biedenkopf als Kreistagsbeigeordneter

an.

Neben diesem überaus beindruckenden ehrenamtlichen Engagement

in der Kommunalpolitik engagierte sich Rudolf Rhiel bei

der Freiwilligen Feuerwehr, dem Pfarrgemeinderat Roßdorf, bei

unterschiedlichen Roßdorfer Vereinen sowie der Waldgenossenschaft

Roßdorf.

 

 

 

Hier und heute soll es vorwiegend um das kommunalpolitische

Wirken von Rudolf gehen, das allergrößte Anerkennung und

Respekt verdient.

Eine Untersuchung des statistischen Bundesamtes aus dem Jahre

2012 ergab, dass der durchschnittliche Zeitaufwand für ehrenamtliches

Engagement bei Männern zwischen 6 – 12 Std. pro

Monat liegt. Sofern mehrere ehrenamtliche Aktivitäten wahrgenommen

werden, liegt der Zeitaufwand noch deutlich über diesem

Wert. Rudolf Rhiel hat während seiner gesamten kommunalpolitischen

Tätigkeit in seinen, häufig parallel ausgeübten Ämtern,

einen erheblichen Teil seiner Lebenszeit für seinen Dienst für die

Allgemeinheit eingesetzt. Dafür gebührt ihm unser aller Respekt

und Dank. Dies gilt auch für seine Familie, vor allem für seine

Frau Hildegard und seine Kinder, die oft auf ihren Ehemann und

Vater verzichten mussten. Sicherlich haben die Familienmitglieder

häufig gespürt, dass die Kommunalpolitik die große Leidenschaft

von Rudolf war und ist und haben ihn deshalb wirken lassen.

 

 

 

Es gab auch Situationen und Momente im politischen Leben von

Rudolf, die nachdenklich machen oder erheiternd waren und die

sich junge Menschen vielleicht heute nicht mehr vorstellen können.

Wie mir eine Zeitzeugin berichtete, engagierten sich die führenden

Köpfe der FWG auch intensiv in den Wahlkämpfen und warben

um die Stimmen der Amöneburger Bürgerinnen und Bürger.

Wie mir berichtet wurde, es muss ich um den Wahlkampf zur

Kommunalwahl 1972 gehandelt haben, ließen sich Rudolf Rhiel

und Manfred Stumpf von dem leider viel zu früh verstorbenen Ingo

Kubeck mit Leimtopf, Pinsel und Stehleiter ausstatten um

Wahlplakate zu kleben. Dies geschah häufig nach einem langen

Arbeitstag. Müde und gebückt, gingen die beiden Führungsköpfe

mit ihren Leimtöpfen, Pinseln und Stehleitern durch die Ortschaften

und klebten Plakate um ihre politischen Botschaften zu verbreiten.

Für eine Zeitzeugin hat sich dieses Bild in ihre Erinnerung

eingebrannt und ist noch heute sichtbar.

 

 

 

Auch musste der Wahlkampf genauso wie heute durch die Mitwirkung

vieler helfender Hände vorbereitet werden.

In der Schreinerwerkstatt von Ewald Schick aus Mardorf wurden

Holzständer für Wahlplakate angefertigt auf die dann die blauen

Wahlplakate der FWG geklebt wurden.

Es war in der Zeit vor den Kommunalwahlen am 20. März 1977

als Peter Hugo Schick, der Vater von Ewald Schick, zu einer Kur

in Maria Rhein weilte. Peter Hugo Schick, ein großer Anhänger

der CDU und sein Sohn Ewald waren politisch unterschiedlicher

Auffassung. Ewald war der Rebell in der Familie, weil er sich in

der FWG engagierte.

Ewald nutzte die Zeit des Kuraufenthaltes seines Vaters und stellte

ohne dessen Wissen die Schreinereiwerkstatt zur Herstellung

von Wahlkampfständern zur Verfügung. So traf sich das Wahlkampfteam

mehrmals abends nach Feierabend in der Werkstatt

bei Ewald um die Wahlkampfständer herzustellen und zu bekleben.

Rudolf Rhiel stieß, nachdem er sein Vieh in Roßdorf versorgt

hatte, meist später auch dazu um seine Kollegen zu unterstützen.

Nachdem alle Wahlkampfständer fertig gestellt waren, hatte sich

die Schreinereiwerkstatt in ein Blaues Meer von Ständern verwandelt,

die nun nur noch darauf warteten im Gemeindegebiet

verteilt zu werden.

 

 

Was die fleißigen FWGLer jedoch nicht wussten: Moisenesch Peter

Hugo Schick hatte seine Kur frühzeitig in Maria Rhein beendet.

Als er unvorbereitet die Tür seiner Schreinereiwerkstatt öffnete,

leuchtete ihm ein Meer von blauen Wahlkampfständern entgegen.

Ein Zeitzeuge berichtete mir, dass Ewalds Vater fast einen

Herzinfarkt erlitten hat bei dem Anblick der Wahlkampfmaterialien

des politischen Gegners. Erschwerend kam hinzu, dass sein

Ewald sich mit Roßdorfer Gleichgesinnten verbündet hatte. Wie

Ewald letztendlich seinen Vater besänftigt hat, bleibt sein Geheimnis.

Vielleicht wird er uns dies im Laufe des Abends noch

verraten.

Ebenfalls im Wahlkampf 1977 hatten Ewald Rausch, Rudolf

Stumpf, Rudolf Rhiel, Peter Fischer u.a. einen VW-Bus wahlkampftauglich

mit Mikrofon und Lautsprecher ausgestattet um

damit am Wochenende durch das Gemeindegebiet Amöneburg

mit allen Ortsteilen zu fahren und die Bürgerinnen und Bürger

aufzufordern, die FWG zu wählen. Die Wahlkampftour war musikalisch

mit folgendem Lied untermalt: „Jeder Tag bringt neue

Hoffnung“ von Hubert Wolf und seine Original Böhmerländer. Als

der VW-Bus durch Rüdigheim fuhr, trafen die Wahlkämpfer auf

Höhe der Gastwirtschaft Wieber auf den Inhaber Aloysius Wieber,

ein großer Anhänger der CDU.

 

 

 

Herr Wieber eilte zum VW-Bus, schimpfte laut mit dem politischen

Gegner und attackierte den Bus mit einem Stock um die Wahlkämpfer

aus Rüdigheim zu vertreiben. Diese ließen sich jedoch

nicht beirren und führten eine politische Diskussion mit Herrn

Wieber in dessen Verlauf Herr Wieber seine Attacke in Richtung

VW-Bus schließlich beendete. Trotz größter Bemühungen gelang

es den FWG-Wahlkämpfern nicht, Herrn Wieber von ihren politischen

Ideen zu überzeugen. Immerhin durften sie weiter durch

Rüdigheim fahren und weiterhin über Lautsprecher und Musik

Wahlwerbung machen. Von weiteren Vorfällen ähnlicher Art wurde

mir nicht berichtet.

Zurück zur Familie von Rudolf Rhiel und den Erschwernissen die

mit der politischen Betätigung von Rudolf einhergingen.

Während seiner Zugehörigkeit zum Kreistag in den 1970er Jahren,

dauerte eine Kreistagssitzung in der sommerlichen Erntezeit

sehr lange. Während zu Hause auf dem Feld die Ernte eingefahren

werden musste, machte Landwirtschaftsmeister Rhiel Politik

in Marburg. So mussten sich einmal seine Frau Hildegard und

sein Vater auf einem Feld wartend gedulden, bis Rudolf von Marburg

zurück kam und mit landwirtschaftlichem Gerät in die Ernte

eingreifen konnte. Dieses Beispiel zeigt, dass die politische Betätigung

von Rudolf auch zu kurzzeitiger Stilllegung der landwirtschaftlichen

Betriebes führen konnte.

 

 

 

Zur weiteren Beschreibung der persönlichen Umstände, unter

denen Rudolf Rhiel viele Jahre politisch aktiv war, gehörte, dass

sich mehrmals in der Woche politische Weggefährden auf dem

Hof von Rudolf einfanden, um abends mit ihm politische Fragen

zu besprechen. Da Rudolf jedoch mit seiner Frau das Vieh versorgen

musste und sich diese Arbeit durchaus auf bis 2 – 2 ½

Std. erstrecken konnte, musste der Aufenthalt von Rudolf im Kuhoder

Schweinestall oder in der Scheune genutzt werden, um nebenbei

mit Manfred Stumpf, Ewald Mann, Ewald Schick, Ewald

Rausch, Berthold Krähling oder mit anderen, politische Diskussionen

zu führen. So fanden also häufig außerordentliche Fraktionssitzungen

im Kuhstall von Rudolf statt. Als der politische Gegner

hiervon erfuhr, wurde die FWG-Politik in dieser Zeit als „Kuhstallpolitik“

bezeichnet. Dass diese Art von politischer Auseinandersetzung

durchaus erfolgreich sein kann, zeigte sich bei den

Kommunalwahlen 1989 bei der die FWG ihren Stimmenanteil von

18,9 % auf 32,8 % erhöhen konnte, während die CDU von 57,6 %

auf 41 % abstürzte und die absolute Mehrheit verlor, die sie bis

heute nicht mehr zurück holen konnte.

Die „Kuhstallpolitik“ der damaligen FWG war also authentisch und

glaubhaft und überzeugte einen Großteil der Amöneburger Bürgerinnen

und Bürger. Hieran hatte sicherlich Rudolf einen großen

Anteil.

 

 

 

Was für die damalige CDU auf Bundesebene das „Konrad-

Adenauer Haus“ in Bonn und für die SPD die „Baracke“, das

Erich Ollenhauer Haus in Bonn waren, war für die FWG „Lornesch

Hof“ in der Kirchgasse in Roßdorf.

Dies musste auch im Jahre 1993 der damalige Bürgermeister

Biedermann anerkennen. Als Rudolf und Hildegard in der Mehrzweckhalle

in Roßdorf ihre Silberhochzeit feierten, mussten sie

abends vorübergehend die Festgesellschaft verlassen um auf

dem Hof das Vieh zu füttern. Als Herr Biedermann in der Mehrzweckhalle

auftauchte um dem Brautpaar zu gratulieren, wiesen

die Gäste darauf hin, dass das Paar auf dem Hof anzutreffen sei.

Herr Biedermann eilte zum Hof von Rudolf und Hildegard und traf

das Paar im Stall an. Zwischen Kühen, Kälbchen, einer laufenden

Melkmaschine und einigen umherstreunenden Hofkatzen überbrachte

Herr Biedermann schließlich die Glückwünsche des Magistrats

für den weiteren gemeinsamen Lebensweg. Ob er sich

danach noch in die Mehrzweckhalle begeben hat um mit dem

Brautpaar und den Gästen weiter zu feiern ist nicht überliefert.

 

 

 

Rudolf Rhiel hat während seiner langjährigen politischen Betätigung

maßgeblich mit dazu beitragen, dass für die im Stadtparlament

vertretenen Fraktionen die Sachthemen im Vordergrund

standen und es für ihn immer darum ging, zum Wohle der Bürgerinnen

und Bürger sachgerechte Lösungen zu finden. Rudolf genießt

bei allen politischen Gruppen in der Stadt Amöneburg

höchsten Respekt und Anerkennung.

Lieber Rudolf. Du hast der Stadt Amöneburg unschätzbare Dienste

erwiesen. Als Du 1968 in die Fußstapfen Deines Vaters und

auf die politische Bühne in Roßdorf getreten bist, besuchte ich die

Grundschule in Roßdorf. Ich spürte bereits damals und in den folgenden

Jahren aus meinem privaten Umfeld, dass Lornesch Rudolf

großes Vertrauen entgegen gebracht wurde. Mein Vater und

mein Großvater hörte ich manchmal sagen, dass sie bei Rudolf

mal vorbei gehen müssten um mit ihm und mit anderen aus der

FWG-Führung über kommunalpolitische Fragen zu sprechen.

Vielleicht haben auch sie auf einem Strohballen im Kuhstall von

Rudolf gesessen und ihre Probleme mit ihm besprochen.

 

 

 

Lieber Rudolf. Ich danke Dir für die geleisteten Dienste zum Wohle

der Stadt Amöneburg mit allen Ortsteilen. Für mich und sicherlich

auch für andere bist Du ein Vorbild aufgrund Deines großen

persönlichen kommunalpolitischen Einsatzes über einen sehr

langen Zeitraum. Gäbe es viele aus dem Holz, aus dem Rudolf

geschnitzt ist, wäre es mir nicht bange um unsere Zukunft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Karl Jennemann